Die Geschichte vom Esel

Nahe der Stadt Nazareth in Galiläa lebte einst ein Bauer mit seiner Frau und 6 Kindern in einem alten, halb verfallenen Bauernhof. Die Ernte des vergangenen Sommers war schlecht ausgefallen und so musste die Familie nur mit dem allernotwendigsten auskommen.

Ab und zu konnte der Bauer kleine Transporte für reichere Bauern übernehmen. Dazu spannte er seinen einzigen Esel vor den Karren. Der Esel war ein kräftiges Tier, zwar manchmal, so wie die meisten Esel bockig und stur, jedoch sehr folgsam, wenn er den Karren zog, da er froh war, endlich wieder aus seinem Stall herauszukommen.

So benützte der Bauer seinen Esel, den er Jakob nannte, auch zu den Fahrten in die Stadt, wo er auf dem Markt seine spärlichen Waren, wie Gewürze, Dörrobst und Gemüse anbot. Dabei wurde der Esel von Kindern, die ihn liebten,  oft mit Karotten und Rüben gefüttert und natürlich auch auf seinem silbergrauen Fell gekrault, was ihm besonders gefiel.

So konnte der Bauer seine Familie so recht und schlecht ernähren, doch reichte das Geld nur für das Allernötigste. Die Kinder mussten ihre Kleidung immer an die jüngeren Geschwister abgeben, da für Neuanschaffungen kein Geld vorhanden war. An eine Ausbildung der Kinder war nicht einmal zu denken.

Eines Tages stand wie aus dem Nichts plötzlich ein großer, stattlicher Mann mit edlem Aussehen und wallendem Gewand, vor dem erschrockenen Bauern, der gerade mit der Stallarbeit beschäftigt war.

„Fürchte dich nicht“, sagte der Mann.

„In den nächsten Tagen wird dich ein Mann, der von einer Frau begleitet wird aufsuchen und dich um deinen Esel bitten. Gib ihm den Esel ohne Widerrede. Du wirst dafür belohnt.“

Nach diesen Worten überreichte der Mann dem erstaunten Bauern einen Geldbeutel.

„Damit kannst Du Dir ein Pferd und Kühe kaufen und deine Kinder zur Schule gehen lassen. Ihr werdet in eurem weiteren Leben keine Not mehr zu befürchten haben.“

Und so plötzlich, wie er gekommen war, verschwand der Mann spurlos vor den Augen des verblüfften Bauern. Als dieser zitternd den Beutel öffnete, fand er darin eine große Menge von Goldstücken.

Einige Tage später trat ein bärtiger Mann und eine zarte Frau, die offensichtlich ein Kind erwartete in die Hütte der Bauernfamilie.

„Ich bitte dich um Deinen Esel Jakob“ , sagte der Mann. Wortlos ging der Bauer in den Stall, um Jakob zu holen. Dieser wehrte sich anfänglich, von fremder Hand geführt zu werden, doch als ihm der Mann, der sich Josef nannte, die Hand auf den Kopf legte und ihm einige beruhigende Worte ins Ohr flüsterte, wurde der Esel ganz ruhig und ließ die Frau, die von Josef Maria genannt wurde, aufsitzen.

Nachdem sich Josef mit dankbarer Geste vom Bauern und seiner inzwischen neugierig versammelten Familie verabschiedet hatte, nahm er den Esel an der Leine und entfernte sich.

Da Kaiser Augustus befohlen hatte,  dass sich alle Bewohner in ihrem Geburtsort in Steuerlisten einzutragen hätten, wollte Josef mit Maria hinauf nach Judäa, in die Stadt Betlehem,  in der er sich,  da er aus dem  Geschlecht Davids stammte, eintragen wollte.

Der beschwerliche Weg führte durch viele Ortschaften, in denen sie ab und zu von einigen, meist armen  Bauern verköstigt wurden. Auch Jakob bekam da und dort Futter zugeworfen.

Als sie nach vielen Tagen endlich erschöpft und hungrig in Betlehem ankamen, bat Josef in vielen Bauernhöfen um Quartier, das ihm jedoch schroff verweigert wurde.

Maria litt wegen der bereits eintretenden Wehen unter großen Schmerzen. Am Ende der Stadt stand ein Bauerngehöft, an dessen Tor Josef anklopfte. Ein grimmig dreinblickender Bauer öffnete das Tor und wies die um Quartier Bittenden schroff ab. Als auch die Frau des Bauern, die ihrem Mann gefolgt war, sah, dass die auf dem Esel sitzende Frau hochschwanger war, bat sie den Gatten, die beiden Menschen doch wenigstens in der,  dem Bauerngehöft angrenzenden Stallhöhle Unterkunft zu gewähren. Unwillig stimmte der Mann letztendlich zu.

Die Bauerfrau führte nun Josef und Maria samt Jakob in den Stall, in dem auch eine Grippe stand. Sie füllte diese mir Stroh, um dem zu erwarteten Kind eine Liege zu geben.

Die Stallhöhle befand sich in einem erbärmlichen Zustand. Josef bereitete nun ein Strohlager, auf dem er Maria behutsam bettete.

Nachdem er dem von der langen Reise erschöpften Jakob auch ein Strohlager errichtet hatte, wollte er sich ebenfalls neben Maria betten.

In diesem Augenblick erhellte sich der Stall und eine Unzahl kleiner. silberner Engel strömte in den Raum. Sie  begannen nun eifrig mit dessen umfassender Reinigung. Im Nu erstrahlte die Höhle in einem wunderbaren Licht. .

Auch Jakob wurde von einigen Engerln vom Staub der Straße befreit.  Sie bürsteten sein Fell und brachten seine Hufe auf Hochglanz. Der Esel ließ diese Betreuung mit großem Wohlbehagen über sich ergehen und fühlte sich so wohl wie noch nie in seinem Leben.

Dann gebar Maria ihren Sohn. Josef legte ihn die Grippe, die durch die Engerln mit weichem, warmem  Stroh gefüllt worden war und umsorgte ihn mit Windeln, die von der vom Geschehen demütig erstaunten Bäuerin zur Verfügung gestellt worden waren.

Nach und nach näherten sich nun Hirten aus den umliegenden Feldern dem Stall, über dem ein hell erleuchteter, großer Stern stand  und bestaunten das Wunder. Maria hatte nun das Kind, dass sie Jesus nannten an sich genommen, um es zu stillen.

Die Besucherzahl nahm in den nächsten Tagen ungeahnte Ausmaße an. Bewohner der Stadt, Hirten und Bauern, die von Engeln auf das Wunder aufmerksam gemachten worden waren, beteten die Heilige Familie an. Auch der Esel wurde oftmals bestaunt, gelobt und mit Köstlichkeiten gefüttert.

Eines Tages erschienen unter großem Aufsehen drei Könige aus dem Morgenland, um ihre Aufwartung zu machen. Sie brachten wertvolle Geschenke und Kräuter. Als ihnen Josef von dem treuen Esel erzählte, wollten ihm die Könige den braven Jakob abkaufen. Da Josef jedoch den Esel wieder an dessen Herren zurückbringen lassen wollte, kam er dem Wunsch nicht nach.

Nachdem der Heiligen Familie durch den Bürgermeister der Stadt eine standesgemäße Unterkunft zur Verfügung gestellt wurde, bat Josef  einen nach Nazareth reisenden Kaufmann, den treuen Jakob wieder seinem ursprünglichen Besitzer zurück zu bringen.

Mit Tränen in den Augen verabschiedeten sich nun Maria und Josef von dem treuen Esel Jakob, der nun zum berühmtesten Esel der Weltgeschichte  geworden war.

Der Bauer, der inzwischen ein geachteter Mann war, empfing seinen Esel mit großer Freude und brachte ihn in einem gemütlichen Stall mit Auslauf unter. Er wurde nicht mehr vor einen Karren gespannt und konnte sein Leben noch viele Jahre lang genießen. Der Bauer machte durch seinen Esel gute Geschäfte, denn viele Menschen kauften seine Ware, nur um den inzwischen im ganzen Land bekannt gewordenen Esel Jakob zu sehen.

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